Ein Bild von einem Schloss auf einer Tastatur neben Chipkarten

Der digitale Genickbruch Europas

12.10.2022 22:33

Nervige Popups, lange Listen mit Schaltern zum Durchschalten der verschiedenen Einstellungen, wenn man eigentlich nur einen Artikel lesen möchte und von Seufzen begleitetes Augenrollen. Die breite Bevölkerung wird täglich drangsaliert mit einer Maßnahme, die diese eigentlich schützen sollte — vor welcher existentiellen Bedrohung auch immer. Ich rede vom Datenschutz. Achtung: es folgt eine kleine Tirade.

 

Was wird da eigentlich geschützt?

 

Hier ist immer die Rede von personenbezogenen Daten. Dabei sind personenbezogene Daten auch all jene Daten, die direkt oder indirekt auf eine natürliche Person Rückschlüsse führen können. Selbst eine IP-Adresse gehört also zu meiner peripheren DNA, die mich eindeutig identifizieren könnte. Und das ist auch ein wichtiger Punkt. Sie könnte! Ich nehme dieses Risiko schließlich in Kauf. Auch sind es direkte Angaben, wie Name, Telefonnummer, Emailadresse oder meine Bankverbindung, die ganz besonderem Schutz bedürfen. Alles, was irgendwie relevant sein könnte, mich als Person zu identifizieren, wird mit bleckenden Zähnen vom Gesetz hochgeachtet und verteidigt. Verteidigt gegen raffgierige Firmen und böswillige Hacker, die nur darauf warten, mithilfe meiner Daten Geld zu drucken. So zumindest der Tenor.

Bei Kindern verstehe ich diese Maßnahmen noch, aber als erwachsener Mensch, der sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden kann, einen Helm zu tragen oder eben nicht und mit diesen Konsequenzen leben muss, fühle ich mich doch etwas albern. Wann sind Sie das letzte Mal in ein Geschäft gegangen und haben erst einmal ein Formular ausfüllen müssen, um zu bestätigen, dass Sie damit einverstanden sind, dass die Überwachungskamera Sie filmen darf, die Kasse Ihre Bankdaten einspeichern kann und die dort anwesenden Leute Ihr Gesicht sehen dürfen? Nun, das Internet ist für uns alle Neuland, da bedarf es tatsächlich vielleicht eines Sicherheitsmechanismus, der Anwälten später die nicht zu gewinnenden Klagen von illiteraten Klienten erspart, die einfach auf bunte Buttons einhämmern, ohne weiter darüber nachzudenken. Aber es ist ja nicht nur das „Neuland“, sondern selbst Vereine, die sich bei Inkrafttreten des Gesetzes mit einer unvorstellbaren Flut an Datenschutzerklärungen konfrontiert sahen, was ehrenamtlich kaum sinnvoll zu verarbeiten erschien. Die Folge des Ganzen? Es hat sich nichts verändert. Datenschutzerklärungen werden — auch bei Corona-Impfungen — ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben, unterschrieben. Noch mehr Papiermüll, der sogar aufgehoben werden muss, großartig.

 

Eine andere Perspektive

 

Als Softwareentwickler hat man es dahingehend auch nicht leicht. Nicht wenige Gründungsvorhaben wurden in der EU direkt im Gedankengang beerdigt, weil die Datenflut vermutlich jeglichen Rahmen der Daten mit „berechtigtem Interesse“ gesprengt hätte. Innovative Ideen, selbst für staatliche Entbürokratisierung, einfach in die Tonne getreten, weil die Daten in der Cloud für nicht technikaffine Menschen nicht sicher genug erscheinen. Die Corona-App hat großes Potenzial verspielt, weil die Gesundheitsämter den Menschen hinterhertelefonieren mussten, anstatt die in der App möglicherweise gesammelten Daten zu verwenden und sie dort per Push-Benachrichtigung zu informieren. Selbst im Marketing muss man womöglich die Kunden mit ansprechenden und einfach zu klickenden Cookie-Bannern beinahe anflehen, damit sie die standardmäßigen opt-outs doch bitte wieder anhaken, um irgendwelche belastbaren Daten für die weitere strategische oder taktische Entwicklung zu erhalten. Jetzt hat die EU einen angeblichen Standard, der die Geschäftsbeziehungen unter den Mitgliedern vereinfachen soll und dennoch können viele deutsche Unternehmen mit Verweis auf die DSGVO keine Serverkapazitäten günstig im EU-Raum erwerben, denn die Daten müssen ja schließlich in Deutschland bleiben, ein Armutszeugnis. Von den vielen technischen Kniffen, Sorgen und Gedanken zum Datenschutz, welche die eigentliche Produktentwicklung signifikant bremsen können, möchte ich gar nicht erst anfangen. Wie können wir uns Digitalisierung auf die Fahne schreiben und dann am Gesetz versagen, während der Rest abseits von Deutschland und Europa uns digital überfügelt?

 

Paradoxa

 

Ich soll also möglichst anonym gegenüber den bösen Unternehmen bleiben, aber der Staat hat das absolute Auskunftsrecht über meine Daten. Wenn ich die Hoheit über meine Daten habe, wieso darf ich nicht verlangen, dass diese bei ihm gelöscht werden? Was legitimiert das BSI (neben hilfreichen Ratschlägen) mit Skandalen und Pannen im Personal, gegenüber einem multinationalen Konzern und Cloud-Anbieter, dem das Vertrauen und der Bestand seiner Kunden als Existenzgrundlage dient? Wieso darf ich die IP-Adressen(!) meiner Besucher nicht — ohne Jura studiert zu haben — tracken, um damit herauszufinden, wie oft ein Blogbeitrag tatsächlich von Einzelpersonen angesehen wurde, aber muss meine Anschrift und meine Kontaktdaten im Internet durch ein Impressum preisgeben (Telemediengesetz)?

Schutz ist immer sinnvoll, wo er gebraucht wird. Eine GRUNDverordnung ist die DSGVO jedenfalls nicht. Sie erschwert vieles und macht Unternehmen sowie Privatanbieter unbeweglich und mit jedem Schritt im Netz riskiert man, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen oder abgemahnt zu werden. Zugegeben, damit es soweit kommt, muss ganz schön viel zusammenkommen, aber abwegig ist das bei diesen derart scharf formulierten Gesetzen nicht. Zumindest hat das Gesetz einen ganz neuen Wirtschaftszweig für Berater und Rechtsexperten eröffnet …

All diese kleinen und großen Unannehmlichkeiten sollen also schützen. Nach mittlerweile vier Jahren weiß ich jedoch immer noch nicht, ob ich derart in Gefahr war, dass mir der Schutz hätte aufgezwungen werden müssen. Natürlich muss man abwägen, was angemessen erscheint, aber ein Fahrradhelm schützt ausreichend und für eine Spritztour muss man nicht jeden Mitfahrer in eine schwere Ritterrüstung stecken. Letztlich liegt die Verantwortung immer bei jedem selbst. Man kann Zäune am Gipfel errichten, aber wer springen will, der findet dennoch Wege.

 


Bild von: Towfiqu barbhuiya