Bild des Elbtunnels in Hamburg

Ein Neuanfang

12.10.2022 22:32

Gegen Ende meines Urlaubs hatte ich circa dreihundert Seiten für die Fortsetzung von Herr Nagasakis höchst umständlicher Rückkehr fertiggeschrieben. Die Kapitel ließen sich im Urlaub relativ einfach formulieren, nachdem ich einen Knoten gelöst hatte, der mich eine Weile beschäftigt hatte. Dann, nur zwei Tage später, beschloss ich, die Arbeit am Kriegsroman und auch an der Geschichte rund um das Verschwinden des alten Manns ruhen zu lassen, weil sich eine andere Idee in meinem Kopf manifestiert hatte, die ich unbedingt umsetzen wollte.

 

Eine unsichtbare Wand

 

Seltsamerweise fiel mir diese Entscheidung überhaupt nicht schwer. Normalerweise hätte ich mich geärgert, weil ich schon so viel Energie und Zeit in die anderen Titel hereingesteckt hatte, diese nun aber nicht fertigstellen würde. Und ein wenig hat es mich schon gekränkt, aber immerhin war ich es ja, der zu diesem Schluss kam. Ist ein Neuanfang denn wirklich so schlimm? Manchmal rennt man eben gegen eine unsichtbare Barriere, die einen nicht weiterarbeiten lässt – Schreibblockade. Doch eigentlich kenne ich das nicht. Die Kreativität kommt meist beim Schreiben, man muss eben erst einmal damit anfangen. Aller Anfang ist schwer, aber man kann sich einen Plan machen. Also wurde mein Notizbuch herausgekramt und ich fing an, den groben Plot für die verschiedenen Hauptcharaktere zu skizzieren. Ich wusste, dass ich Fantasy schreiben wollte, da es mir Freiheiten ermöglicht, die in meinen sonstigen Entwürfen zu abwegig gewesen wären. So sehr ich den magischen Realismus auch mag, die Genregrenze verschwimmt gerne, wenn man zu viel Hexenwerk mit seinen Figuren betreibt.

 

Intrigen, Krieg, Lügen, Machtkämpfe – und Helden

 

Das sollte das Thema meiner Geschichte werden, so viel wusste ich. Ich wusste auch, dass die Geschichte in einem fiktiven ostasiatischen Land spielen sollte, das an Korea und Japan angelehnt ist, weil ich meine Faszination für die Kulturen der Länder darin kanalisieren wollte. Es hilft für die Motivation übrigens ungemein, wenn man sich für etwas wirklich intrinsisch interessiert. Also begann ich, den Figuren einprägsame – wenn auch vermutlich für westliches Publikum ohne Bezug eher schwierige – Namen zu geben und ihren Weg durch die Geschichte zu skizzieren. Jemand sollte auf jeden Fall am Ende sterben und ich konnte mir vorstellen, diese Geschichte als Serie zu veröffentlichen, allerdings muss ich in Folge erst einmal an diesen Punkt kommen und das wird trotz aller Motivation vermutlich eine Weile dauern. Für meine Recherche habe ich angesagte Fantasy-Kost konsumiert und mich an den dort vorkommenden Motiven und Stilelementen orientiert. Dies stellt mich dann aber auch wieder vor ungeahnte Herausforderungen.

 

Fantasy à la carte

 

Ich muss mich der Frage stellen, ob es Magie gibt, ob und wie ich gesellschaftlich relevante Themen verarbeite oder sogar historische Momente referenziere, um einer möglichen Hommage an meine Fernostliebe auch auf Metaebene Rechnung zu tragen. Dann wäre für meine fiktive Sprache ein Glossar noch hilfreich, denn immerhin erwähne ich bestimmte Konzepte, Gegenstände und Personen darin in einer Fantasiesprache, die sich nicht nach absolutem Kauderwelsch anhören soll. Das alles erhöht selbstverständlich den Aufwand, wofür ich bei anderen Entwürfen mit einem für das Publikum unsichtbaren Lexikon in meinem Kopf klargekommen bin. Auch ist da auch noch die Frage, ob der Markt nicht sowieso schon übersättigt ist und man in der Masse untergeht. Andererseits hoffe ich natürlich, mit meinem Ansatz einen Nerv zu treffen und dass ich mich von anderen Autor* abhebe. In welchem Stil ich schreibe, spielt auch eine Rolle. Es macht in meinen Augen einen Unterschied, ob zeitgenössische Sprache verwende oder alle Charakter sich mit verschiedenen Höflichkeitsformen begegnen und dabei die soziale Klasse berücksichtigen.

 

Alles hat ein Ende

 

Und dann ist da noch die Länge. Der erste Fantasyroman sollte zwischen 80.000-110.000 Wörtern liegen, damit Agenturen und im Anschluss die Verlage kein zu großes Risiko eingehen, wenn sie für Druck und Vermarktung in Vorkasse gehen. In der Regel pendeln sich HF-Romane dann zwischen 110.000 und 200.000 ein. Das ist für jemanden, dessen längster Roman gerade einmal 105.000 Wörter enthielt und es nicht in die Veröffentlichung geschafft hat, eine sportliche Herausforderung. Nichtsdestotrotz habe ich mir diesen Neuanfang ausgesucht und plane auch, ihn zu vollenden. Sicherlich wird mich diese Idee eine Weile begleiten und ich poche darauf, dass ich nicht in eine Sackgasse gelange, die mir dann wieder temporär die Lust am Schreiben nimmt, doch aktuell sieht es gut aus. Die Kapitel sind deutlich länger, aber die Magie, die ich beim Schreiben verspüre und mich motiviert, weiterzuschreiben, verhindert hoffentlich einen Neuanfang mit einer anderen Idee.

 

Zielgruppenfindung

 

Dann ist da noch mein leidlichstes Problem. Als Autor* wird man oft dazu aufgefordert oder es wird schlicht und einfach erwartet, dass man doch bitte auch die Zielgruppe für die Geschichte im Exposé angeben soll. Ich bin mir nicht sicher, ob Ulrike (62 Jahre alt, verheiratet und drei Kinder) mein Buch liest, denn ich kenne sie nicht. Jason, 16, interessiert sich eigentlich nicht für Bücher, sondern für seine Herkules, aber für Fantasy brennt er möglicherweise. All das sind Dinge, von denen ich schlicht keine Ahnung habe und auch keine Marktforschung betreiben kann – allein schon aus zeitlichen Gründen. Ich weiß aus dem Freundeskreis, dass es wohl Geschichts- und Englischlehrer* gibt, die sich in Fantasiewelten flüchten, aber reicht das für eine Zielgruppe? Ich gehe davon aus, dass sich nicht alle Lehrpersonen wahnsinnig für Fantasiegeschichten interessieren und dennoch wird von mir erwartet, dass ich das möglichst herunterbrechen kann. Vielleicht schreibe ich auch einfach meine Personendaten hin, denn schließlich schreibe ich nur, was ich auch lesen würde.

 

Prozessoptimierung

 

Wenn ich schon eine Neuanfang wage, kann ich auch die Art, wie ich schreibe, verbessern. Früher habe ich mir im Kopf überlegt, was meine Figuren im jeweiligen Kapitel erleben und wie sie sich entwickeln. Das wird dann problematisch, wenn man logische Lücken kreiert, die Leser* schnell abturnt. Hat Viktor seinen Schlüssel in Kapitel 7 noch? Wie kam Sarah denn in zwei Stunden von zu Hause nach Singapur und warum redet sie jetzt anders? All das sind Dinge, die sich wunderbar in Steckbriefen notieren lassen, damit man sie an zentraler Stelle wieder abrufen kann und sich nicht ständig den Kopf zerbrechen muss. Dann habe ich mir noch ein Kartendeck bestellt, um die Geschichte besser plotten zu können. Das hilft enorm und ermöglicht es mir, alles auf einem Blick planen zu können. Wer hätte ahnen können, dass Schreiben über das Leben anderer Menschen, die überhaupt nicht existieren und Dinge erleben, die in unserer Welt mit ihren Naturgesetzen und Gegebenheiten nicht passieren, so kompliziert sein könnte? Und dann will ich natürlich neben all dem auch noch mehr schreiben, um meinem Traum einer Veröffentlichung durch einen Verlag schneller näher zu kommen.

 

Dennoch habe ich mich dazu entschlossen, den Neuanfang zu wagen. Schließlich machen mir all die oben genannten Aktivitäten und das Schreiben an sich Spaß. Ob es dann jemand lesen möchte und wie diese Leser* aussehen, steht auf einem ganz anderen Blatt.


Foto von https://unsplash.com/@jdiegoph